LIEBER THOMAS

 

Wer war Thomas Brasch? Und noch viel mehr: Wer wollte er sein? Vielleicht wusste der Dichter, Rebell, Filmemacher das selber nicht genau. Am Ende des zweieinhalb Stunden langen biographischen Porträts „Lieber Thomas“ weiß der Zuschauer dank der mitreißenden Darstellung von Albrecht Schuch zumindest eins:

Thomas Brasch war ein faszinierender, vielschichtiger, ambivalenter Mann und eine geradezu exemplarische Künstlerfigur.

Als Thomas Brasch im Jahre 2001 in Berlin starb, viel zu früh, mit nur 56 Jahren, war es still um ihn geworden. Nach der Deutschen Einheit, im letzten Jahrzehnt seines Lebens, hatte Brasch kaum noch etwas veröffentlicht, auch keine Filme mehr drehen können. Manisch arbeitete er an einem großen Roman, der zum Zeitpunkt seines Todes mehrere tausend Seiten lang war, ein ausuferndes, nicht vollendetes Werk, ein bisschen wie Braschs Leben selbst. Wie sehr das Leben von Thomas Brasch und seiner Familie, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegelt, davon erzählte vor ein paar Jahren Annekatrin Hendels Dokumentarfilm „Familie Brasch“, deren fiktionale Version nun Andreas Kleinert mit seinem Spielfilm „Lieber Thomas“ erzählt.

Als Sohn eines hohen SED-Beamten wuchs der 1945 geborene Thomas Brasch (Albrecht Schuch) auf, durchaus privilegiert, aber nie ohne kritischen Blick auf seine Lebensumstände. Die Niederschlagung von Protestbewegungen in befreundeten sozialistischen Ländern empörte Brasch, Flugblätter wurden gedruckt, ein Gefängnisaufenthalt durch den Verrat des Vaters folgte. 1977 verließen er und seine damalige Freundin Katarina (Jella Haase) die DDR, offiziell freiwillig, vor allem aber, weil Brasch in seiner Heimat keine Texte veröffentlichen konnte. Ein Systemwechsel, der für die Künstlernatur Brasch nicht so groß war, wie es Außenstehende, gerade die Medien im westliche Teil Deutschlands gerne sehen wollten. Wie Brasch sich nun nicht instrumentalisieren, wie er sich nicht als Kritiker des DDR-Systems benutzen ließ, ist einer der interessantesten Aspekte seiner Biographie, die, so deutet es Kleinerts Film an, letztendlich zu seiner Isolation, der zunehmenden Flucht in Alkohol und Kokain führte.